„Aus Liebe“ – John Neumeiers Abschied vom Hamburger Ballett
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Ballett ist nicht jedermanns Sache. Es gibt Menschen, denen gilt es als elitäre Kultur-Veranstaltung, die Musik scheint oft gewöhnungsbedürftig (gerade bei modernem Ballett), manche halten es für „irgendwie“ verstaubt. Fragt man nach, warum denn bloß, kommt oft ein Achselzucken, „ist mehr so ein Gefühl“. Einer, der mit solchen Vorurteilen geradezu magisch und radikal aufgeräumt hat, ist John Neumeier. Er war in der 51. Saison Ballettchef in Hamburg, „für viele Menschen hat er fünf Dekaden lang zu ihrem Leben gehört“, schrieb das Hamburger Abendblatt, aber „nun ist sein Abschied vom Hamburger Ballett unwiderruflich gekommen.“ Gleichwohl, es ist sehr beruhigend, dass jemand von einer Extraklasse wie John Neumeier Hamburg stets die Treue gehalten, für Kontinuität stand, für stetige künstlerische Weiterentwicklung und menschliche Größe.
Obwohl geboren in Milwaukee, Wisconsin, USA, im Jahr 1939, ist John Neumeier gefühlt ein Sohn unserer Stadt. Und nun nimmt dieser Sohn der Stadt tatsächlich Abschied, eigentlich schlichtweg unvorstellbar. Denn er hat mit Blick auf das Ballett, nicht nur in Deutschland und Europa, geradezu Epochales geleistet, hat eben das Ballett aus einer vermeintlich verstaubten Ecke herausgeholt, hat über 150 Ballette kreiert, zahlreiche Talente entdeckt und gefördert, er war der bei weitem Dienst älteste Ballett-Direktor der Welt. Auf die Frage, woher er seine enorme, offenbar unerschöpfliche Energie nehme, antwortete er: „Ich möchte darauf mit einem Zitat aus der Matthäus-Passion anworten: Aus Liebe.“ Als er anfing in Hamburg, kam man in der Saison auf nicht einmal 40 Vorstellungen, später, unter seiner Regie, waren es oft über 90 Vorstellungen.
Insgesamt kann John Neumeier auf eine über sechzigjährige Karriere im Tanz zurückblicken: zunächst als Balletttänzer, sodann als Choreograph, schließlich als Ballettchef in Hamburg. Über Jahrzehnte hat John Neumeier gesammelt und eine international renommierte Tanz- und Ballettsammlung entstehen lassen, die sich in der John Neumeier-Stiftung findet. Daneben hat er eine Ballettschule gegründet, seine Ballette bleiben selbstverständlich im Repertoire, als Gast-Choreograph war er etwa in New York, Tokio, St. Petersburg (vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine), in Brüssel oder Genf. Ein Kosmopolit des Balletts mit Hamburger Background und damit eben mithin ein formidabler Botschafter für die schönste Stadt der Welt.
Und natürlich wurde John Neumeier mit kaum zählbaren nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet. So ist er etwa Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes, er erhielt den Gustaf Gründgens-Preis und er bekam den Kyoto-Preis, einer der bedeutendsten Preise weltweit für überragende Leistungen in Wissenschaft und Kunst (dotiert mit 580.000 Euro). Schwer vorstellbar, dass er nun nicht mehr an der Spitze der Hamburger Ballett Compagnie stehen wird. Er wird jedoch unvergessen bleiben. Das fühlten übrigens auch die Besucher des Abschiedsabends im Großen Haus der Staatsoper in dieser Woche. Sie bedachten zum Schluss den großen Ballett-Meister mit sage und schreibe 22 Minuten Standing Ovations.
Aus Liebe zu Hamburg.